68
24 Ein Gang im Gebirge.
Es war schönes, liebes Sonntagswetter. Ich bestieg Hügel und
Berge, betrachtete, wie die Sonne den Nebel zu verscheuchen suchte,
und wanderte sreudig durch die schauernden Wälder. In ihren weißen
Nachtmänteln standen die Berge, die Tannen rüttelten sich den Schlaf
aus den Gliedern, der frische Morgenwind frisirte ihnen die herab-
hängenden grünen Haare, die Vöglein hielten Betstunde, das Wiesen-
thal blitzte wie eine diamantenbesäete Golddecke, und der Hirt schritt
darüber hin mit seiner läutenden Heerde. — Bald umfing mich eine
Waldung himmelhoher Tannen, für die ich in jeder Hinsicht Respekt
habe. Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht
gemacht worden, und sie haben es sich in der Jugend sauer werden
lassen. Der Berg ist hier mit vielen großen Granitblöcken übersäet,
und die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln diese Steine um-
ranken oder sprengen, und mübsam den Boden suchen, woraus sie Nah-
rung schöpfen können. Hier und da liegen die Steine, gleichsam ein
Thor bildend, über einander und oben daraus stehen die Bäume, die
nackten Wurzeln über jene Steinpsorte hinziehend und erst am Fuße
derselben den Boden erfassend, so daß sie in der freien Luft zu wachsen
scheinen. Und doch haben sie sich zu jener gewaltigen Höhe empor-
geschwungen und, mit den umklammerten Steinen wie zusammengewachsen,
stehen sie fester als ihre bequemen Kollegen im zahmen Forstboden des
flachen Landes. So stehen auch im Leben jene großen Männer, die
durch das Ueberwinden früher Hemmungen und Hindernisse sich erst
recht gestärkt und befestigt haben. — Aus den Zweigen der Tannen
kletterten Eichhörnchen und unter denselben spazirten die gelben Hirsche.
Wenn ich solch ein liebes, edles Thier sehe, so kann ich nicht begreifen,
wie gebildete Leute Vergnügen daran finden, es zu hetzen und zu tödten.
Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte
Tannengrün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Ueber-
all schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den schön-
sten Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpolstern, bewachsen. Lieb-
liche Kühle.und träumerisches Quellengemurmel. Hie und da sieht man,
wie das Wasser unter den Steinen silberhell hinrieselt und die nackten
Baumwurzeln und Fasern bespült. Wenn man sich nach diesem Treiben
hinabbeugt, so belauscht man gleichkam die geheime Bildungsgeschichte
der Pflanzen und das ruhige Herzklopfen des Berges. An manchen
Orten sprudelt das Wasser aus den Steinen und Wurzeln stärker her-
vor und bildet kleine Kaskaden. Da läßt sich gut sitzen.
Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghafter
werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammenzu-
schrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rothbeersträuche und Bergkräuter
übrig bleiben.
H. H eine.
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21
Am Hochgebirge schmolz der Schnee;
Der Sturz von tausend Wassern scholl;
Das Wiesenthal begrub ein See;
Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll.
Hoch rollten die Wogen in ihrem Gleis',
Und wälzten gewaltige Felsen Eis.
Auf Pfeilern und auf Bogen schwer,
Auf Quaderstein von unten aus,
Lag eine Brücke darüber her,
Und^nitten stand ein Häuschen d'raus.
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind:
„O Zöllner! o Zöllner! entfleuch geschwind!"
Es dröhnt' und dröhnte dumpf heran;
Laut heulten Sturm und Wog' um's Haus.
Der Zöllner sprang zum Dach hinan.
Und blicket in die Flut hinaus:
„Barmherziger Himmel! erbarme dich!
Verloren! verloren! wer rettet mich!"
Die Schollen rollten, Schuß auf Schuß,
Von beiden Usern, hier und dort;
Von beiden Usern riß der Fluß
Die Pfeiler sammt den Bogen fort.
Der bebende Zöllner, mit Weib und Kind,
Er heulte noch lauter, als Strom und Wind.
Die Schollen rollten, Stoß auf Stoß,
An beiden Ufern, hier und dort.
Zerborsten und zertrümmert schoß
Ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich, —
„Barmherziger Himmel, erbarme dich!"
Hoch auf dem fernen Ufer stand
Ein Schwarm von Gaffern, groß und klein;
Und Jeder schrie und rang die Hand,
Doch mochte Niemand Retter sein.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind
Durchheulte nach Rettung den Strom und Wind.
Wann klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang?
Wohlan! so nenn' ihn, nenn' ihn dann!
Wann nennst du ihn, mein schönster Sang,
Bald nahet der Mitte der Umsturz sich.
O braver Mann! braver Mann! zeige dich!
i
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83
des höchsten Gebirges auf Erden steht 19600 Fuß über der Meeresebene;
im Monde haben mehrere eine Höhe von mehr als 24000 Fuß über
der Ebene. Und so, wie die langen Bergstreifen im Monde, ziehen
auch ähnliche, lange Thalstreifen, wie wasserlose Flußbetten, oder leere
Kanäle, dreißig, fünfzig, siebenzig Meilen weit durch die Ebenen von
einem Gebirge zum andern; ja, wie es scheint, ununterbrochen zuweilen
durch den ungeheuern Abgrund hinweg und wieder in die Ebene hinaus.
Das Schauspiel dieser göttlichen Einrichtung auf der Oberfläche des
Mondes läßt sich nicht erklären. Wir sehen bei uns nichts Aehnliches. .
Schon, daß der Mondball nicht so, wie unser Erdball, mit einem dichten
Dunstkreise oder einem Wolkenhimmel umgeben ist, bedeutet uns, daß wir
dort eine ganz andere Natur vermuthen müssen, als wir in den Som-
mern und Wintern der Erde bewundern. Ohne diejen Wolkenhimmel
wäre kein Regen, kein Schnee, kein Gewitter, kein Hagel. Sollten jene
Abgründe mit ihren erhöhten Rändern vielleicht ausgebrannte feuerspeiende
Berge gewesen sein? Sie gleichen denen auf unserer Erde einigermaßen;
aber die größten Oeffnungen der unserigen sind nur wenige tausend Fuß
weit; dort sind es Thäler, in denen unsere Fürstenthümer mit Städten
und Dörfern Raum finden. Doch scheint, wenn auch vielleicht nicht das
Element unsers Wassers, das Element des Feuers daselbst zu wirken.
Denn man hat nicht nur in den von der Erde verschatteten Gegenden
des Mondes einmal einen röthlichen Lichtflecken erblickt, der lange auf
derselben Stätte sichtbar blieb, sondern nachher auch, als die gleiche
Gegend von der Sonne beleuchtet ward, zeigte sich statt des Lichtfleckens
ein anderthalb Mellen weiter Abgrund von Ringbergen umschlossen,
welcher zuvor nie gesehen ward. Eben so hat man noch andere neu
gewordene Abgründe gesehen, die von Jahr zu Jahr an Umsang zu-
genommen haben, und beweisen, daß dort noch immer die Hand des
Allmächtigen wunderbar zur Gestaltung der Mondesfläche wirkt.
Von der andern Seite sollte man beinahe vermuthen, nicht selten
auch Spuren von der Thätigkeit solcher Wesen zu erblicken, die jenen
Weltkörper bewohnen und anbauen, gleich wie wir den unsrigen; man
bemerkt deutlich auf den Flächen mancher Ebenen und minder hohen
Gebirge Veränderungen in der Farbe, oder im Umrisse derselben, kleine
Stellen, Erscheinungen und Gestalten, die, nach ihren Schatten be-
rechnet, kaum hundert Fuß hoch sind, deren Entstehen sich wohl dem
Bemühen von Geschöpfen zuschreiben ließe, die dort leben; denn vom
Monde aus, nach unserer Erde gesehen, würden Landschaften, die von
ihren weiten Wäldern befreit und angebaut werden, ähnliche Verwand-
lungen ihrer bisherigen Farben zeigen; oder unsere Städte, unsere
Dörfer mit ihren hundert und mehrere hundert Schuh hohen Thürmen
als ähnliche, unerklärliche Pünktchen erscheinen. Zschokke.
48. Die Luft.
Wenn man unter uns Menschen eine .Umfrage darüber halten
wollte, was Jeder zu seines Lebens Unterhalt bedürfe, dann würde
6*
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93
Und gieb uns reebien, deutschen Muth,
Dass wir es lieben treu und gut.
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein! E. M. Arndt.
33 Deutschland
Die weiten Fluren, die sich, mannichfaltig durchschnitten, von
den höchsten Alpen über dem mittelländischen und dem adriatischen Meere,
in unbestimmten Grenzen, westlich an den Ufern der Maas und Schelde
hinab bis zur Nordsee Hinbreiten, und östlich von der March hinüber
zur Oder bis zu dem Ausflusse der Weichsel sich erstrecken, nennen
wir Deutschland.
Dieses Land, in dieser Ausdehnung, gehört zu den schönsten Län-
dern, welche die Sonne begrüßt in ihrem ewigen Laufe. Unter einem
gemäßigten Himmel, unbekannt mit der sengenden Luft des Südens,
wie mit der Erstarrung nördlicher Gegenden, zeigt es die größte Ab-
wechselung, die reichste Mannichfaltigkeit, köstlich für den Anblick, er-
heiternd und erhebend für das Gemüth, und bringt Alles hervor, was
der Mensch bedarf zur Erhaltung und zur Förderung des Geistes, ohne
ihn zu verweichlichen, zu verhärten, zu verderben. Der Boden ist fähig
zu jeglichem Anbau. Hier scheint sich die befruchtende Kraft gesammelt
zu haben, die dort versagt ward Unter dem bleibenden Schnee der
Alpen dehnen sich die herrlichsten Weiden aus, von der Wärme doppelt
belebt, die an jenem wirkungslos vorüberging. An der kahlen Fels-
wand zieht sich ein üppiges Thal hinweg. Neben Moor und Haide,
nur von der bleichen Binse und von der Brombeerstaude belebt, und
menschlichem Fleiße nichts gewährend, als die magere Frucht des Buch-
weizens oder des Hafers, erfreuen das Auge des Menschen die kräf-
tigsten Fluren, geeignet zu den schönsten Saatfeldern und zu den herr-
lichsten Erzeugnissen des Gartenbaues. Fruchtbäume prangen in uner-
meßlicher Menge und in jeglicher Art, vom sauren Holzapfel bis zur
lieblichen Pfirsich. Hoch auf den Bergen des Landes erhebt unter Buchen
und Tannen die gewaltige Eiche ihr Haupt zu den Wolken empor und
blickt über Abhänge und Hügel hinweg, welche den köstlichsten Wein
erzeugen, die Freude der Menschen.
Kein reißendes Thier schreckt, kein giftiges Gewürm droht, kein
häßliches Ungeziefer quält. Aber Ueberfluß gewährt das Land an nütz-
lichem Vieh, an kleinem wie an großem, für des Menschen Arbeit,
Zwecke und Genüsse. Das Schaf trägt Wolle für das feinste Gespinnst,
der Stier verkündigt Kraft und Stärke in Bau und Gestalt, das Pferd
geht tüchtig einher im Fuhrwerke, prächtig vor dem Wagen der Großen,
und stolz als Kampsroß unter dem Krieger, hier ausdauernd und dort.
In ihrem Innern verbirgt die Erde große und reiche Schätze.
Aus vielen und unerschöpflichen Ouellen sprudelt sie freiwillig den Men-
schen Heilung zu und Gesundheit und Heiterkeit. Der?fleißigen Berg-
mann belohnt sie bald mit dem edelsten Gewürze, dem Salze, bald mit
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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Extrahierte Personennamen: Muth Arndt
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Nordsee Deutschland
98
Holzart ist vorherrschend auf dem Unterharze, wie man die Ostseite des
Berges nennt, im Gegensatz zur Westseite desselben, die der Oberharz
heißt und wirklich viel höher ist, und also auch viel geeigneter zum
Gedeihen der Nadelhölzer.
Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit und Anmuth die.
Ilse sich hinunter stürzt über die abenteuerlich gebildeten Felsstücke, die
sie in ihrem Laufe findet, so daß das Wasser hier wild emporzischt oder
schäumend überläuft, dort aus allerlei Steinspalten, wie aus tollen
Gießkannen, in reinen Bögen sich ergießt und unten wieder über die
kleinen Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja! die Sage
ist wahr: die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den
Berg hinabläuft. Wie blinkt im Sonnenschein ihr weißes Schaumge-
wand! Wie flattern im Winde ihre silbernen Busenbänder! Wie fun-
keln und blitzen ihre Diamanten! Die hohen Buchen stehen dabei, gleich
ernsten Vätern, die verstohlen lächelnd dem Muthwillen des lieblichen.
Kindes zusehen; die weißen Birken bewegen sich tantenhaft vergnügst
und doch zugleich ängstlich über die gewagten Sprünge; der stolze Eich-
baum schaut drein, wie ein verdrießlicher Oheim, der das schöne Wetter
bezahlen soll; die Vöglein in den Lüsten jubeln ihren Beifall; die
Blumen am Ufer flüstern zärtlich: ,,O, nimm uns mit, nimm uns mist
kieb' Schwesterchen!" H. Heine.
60. Die Baumannshöhle.
(Beschreibung einer Höhle.)
Die Baumannshöhle liegt in einem Kalkfelsen des linken Bode-
ufers. Der Weg dahin führt eine ziemliche Strecke weit bergauf. Vor
dem Eingänge wölbt sich ein weiter, jedoch nicht sehr hoher Bogen,
-eine Art Thor darstellend, unter dem Tische und Bänke für die Besucher
der Höhle angebracht sind. Da der Tag ziemlich heiß war und die Er-
steigung des Berges unser Blut etwas in Wallung gebracht hatte, so
ermahnten uns die Führer, hier ein wenig Platz zu nehmen, um uns
abzukühlen, indem es in der Höhle ziemlich kühl sei. Sie selbst zün-
deten Lampen an und überreichten auch jedem von uns eine. Mir
wurde ein wenig unheimlich zu Muthe, als es hieß: „Nun kann's
losgehen!" Der Vater faßte mich indeß bei der Hand, und so ging
Alles gut.
Der eigentliche Eingang zur Höhle ist kaum etwas breiter, als
eine gewöhnliche Hausthür, und dabei so niedrig, daß große Leute sich
bücken müssen, wenn sie nicht anstoßen wollen. Man gelangt durch
denselben nicht sogleich in die Höhle, sondern geht erst in einem schmalen,
finstern Gange 80 Lachter 30 Zoll (1 Lachter hat 80 Zoll zehntheilig
Maß) weit bis zu einer kleinen verschlossenen Thür. Nachdem der voran-
gehende Führer diese geöffnet, traten wir in die wirkliche Höhle, welche
ungefähr die Ausdehnung eines ziemlich großen Zimmers hat. Dev
Fußboden ist durch aufgeschüttete Sägespäne seinem größten Theile nach
eben, die Decke hoch gewölbt, fast nach Art der Kreuzgewölbe in alten
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau]]
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100
Höhle, des Bergmanns Bau mann. Er bahnte sich, getrieben von
Neugier und Verlangen nach Erzen, mit unsäglicher Mühe und Be-
schwerden einen Weg durch den schon bezeichneten engen Eingang und
gelangte so glücklich in die ersten Abtheilungen der Höhle. Beim wei-
tern Vordringen erlosch ihm aber plötzlich sein Grubenlicht, und er
tappte nun, umgeben von der dichtesten Finsterniß, in diesen furchtbaren
Schlünden umher, vergeblich den Ausgang suchend. Sein Angstruf ver-
hallte in den grausigen Höhlen, ohne das Ohr eines Erdenbewohners
zu erreichen. Endlich, nachdem er drei Tage und drei Nachte lang
die Angst eines Lebendigbegrabenen ausgestanden hatte, erblickte er den
rettenden Lichtstrahl, der ihn wieder zur Oberwelt zurückführte. Hunger,
Angst und Anstrengungen hatten aber seine Kräfte so erschöpft, daß er
wenige Tage nachher starb. Indessen hatte er doch noch so viel Be-
sinnung, seine Freunde auf die Geheimnisse dieser Höhle aufmerksam zu
machen,, weshalb sich auch bald Mehrere fanden, die seinen Versuch mit
gutem Erfolg wiederholten, die Höhle aber ihm zu Ehren Bau manns-
höhle nannten. Die Zeit der Entdeckung kennt man nicht; doch soll
die Höhle schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts bekannt gewesen
und bereits 1570 von den Grafen Ernst und Martin von Rein-
st ein besucht worden sein. Lüben.
61. Der Jnselsberg
(Beschreibung einer Aussicht.)
Ich will dich aus einen Berg führen im Thüringer Walde; der
ist im ganzen Gebirge beinahe der höchste und gewiß der schönste. Als
einst, so geht erne alte Mähr, das Land und Gebirge umher mit un-
geheuerm Wasser bedeckt war, da sah die Spitze des Berges noch her-
vor, wie eine Insel aus dem Meere; daher soll der Berg seinen Na-
men Jnselsberg haben. Noch jetzt, wenn du auf dem Gipfel des
Berges früh Morgens dem Ausgange der Sonne harrst, kann dir's be-
gegnen, daß du rings um dich ein weites Meer wogen siehst, nicht von
Wasser, sondern von Nebel. Aber wenn die Sonne das Nebelmeer
bezwungen und als Thau ausgegossen hat über die Thäler, dann liegt,
glänzend und grünend eine weite, weite Gegend um dich ausgebreitet,
darin kannst di! mehr als 150 Dörfer, Städte und Schlösser erblicken.
Da glänzt in der aufgehenden Sonne Schloß Friedenstein über der
Stadt Gotha, und weiterhin Erfurt mit seiner Festung, von der die
Kanonen droben, und mit seinen Domthürmen, auf denen eben der
Morgen eingeläutet wird; da blickt ziemlich von Norden her aus den
grünumlaubten Bergen heraus die alte graue Wartburg zu dir herüber;
— den Schneekopf und Beerberg siehst du, die dem Jnselsberg nach
der einen Seite hin die Aussicht versperren, weil sie selbst noch ein
wenig höher sind, als er; — gegen Süden aber siehst du den Dolmar 4
bei Meiningen, die seltsamen Gleichberge bei Römhild; und auch zum
blauen Rhöngebirg reicht dein Blick, wo der Baiernkönig regiert und
auf dem hohen Kreuzberge Mönche im einsamen Kloster wohnen. Und
>
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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104
Liebe, deines Tempe’s Rosenauen
Grenzen an bedornte Wüstenei’n,
Und ein plötzliches Gewittergrauen
Lästert oft der Freundschaft Aetherschein.
Hoheit, Ehre, Macht und Ruhm sind eitel!
Eines Weltgebieters stolzen Scheitel
Und ein zitternd Haupt am Pilgerstab
Deckt mit einer Dunkelheit das Grab.
Fr. Mathisson.
c) Charakterbilder von Gebirgen.
64l Der Echwarzwald.
Wer irgend auf der Landkarte Bescheid weiß, kann leicht das
Schwarzwaldgebirge zeigen. Am großen Rheinknie, nördlich von Basel
erhebt es sich und nach Norden ziehend, endet es am Neckar, dessen
tiefes Thal es vom Odenwalde trennt. Es ist 28 Meilen lang und
4 Meilen breit. Steil steigt das Gebirge aus der oberrheinischen Tief-
ebene aus; es gleicht einermächtigen grünen Mauer, deren hohe Thürme
das Himmelsgewölbe des breiten Rheinthales zu tragen scheinen. Gar
ernst steht dort im südlichen Theile der 4300 Fuß hohe Belgen. dessen
Rücken der dunkle Tannenwald schmückt, und blickt auf die gesegneten
Gefilde der Tiefebene. Hinter ihm, zwei Meilen entfernt, steigt die
noch höhere Spitze des Feldberges 4600 Fuß hoch zu den Wolken.
Dieser südliche Theil des Gebirges ist besonders finster und wild, der
nördliche wird niedriger, milder und freundlicher. Noch 7 Meilen vom
Neckar fällt der Zug steil zum Murgthale ab, und von da bis zum
Odenwalde ist eine Lücke in der Gebirgskette.
Während das Gebirge im Westen plötzlich zur oberrheinischen Tief-
ebene absteigt, dacht es sich nach Osten zur schwäbischen Hochebene nur
allmählig ab. Am Südende steht es mit dem deutschen Jura in Ver-
bindung und bildet mit diesem einen Gebirgswinkel.
Seine Wasser schickt der Schwarzwald dem Rheine und Neckar zu.
Die Thäler seiner Gebirgsflüsse sind oft so eng, daß die Straße neben
den reißenden Gebirgswassern kaum Raum findet, und sie gehören zu
den schönsten des deutschen Mittelgebirges. Hunderte von Reisenden
durchwandern darum in den Sommermonaten das wilde Thal der Murg,
oder das schaurige Höllenthal, und den zahlreichen Badeorten, deren
eins jetzt fast jedes Thal hat, fehlt es nicht an Besuchern.
Das Gebirge ist zum größten Theil mit prächtigen Nadelwaldungen
bedeckt, wovon es auch den Namen haben mag. Das Klima ist rauh
und kalt. Während an seinem Westfuße der edle Markgräfler-Wein
gedeihet und so weit das Auge reicht die sanften Hügel mit Reben be-
wachsen sind, in der rheinischen Ebene weite Weizen und Svelzgefilde
wogen, die Straßen und Raine zwischen den Feldern von mächtigen
Nußbäumen beschattet werden, während an den unteren Abhängen der
TM Hauptwörter (50): [T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T49: [Berg Gebirge Höhe Fuß Ebene Seite Gipfel Gebirg Elbe Meer], T5: [Rhein Main Wald Thüringer Teil Schwarzwald Gebirge Neckar Saale Jura], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
TM Hauptwörter (200): [T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
105
Berge selbst Mandeln und süße Kastanien gedeihen — bringt der Boden
des Gebirges kaum Hafer, Kartoffeln und Wicken zur Reife. Sogar
die Kirschen zeitigen erst im September.
Das Gebirge ist nicht stark bewohnt. Hier lebt noch der kräftige,
thätige, gutmüthige, fromme Schwabe als Hirt, Holzhauer, Flößer,
Ackerbauer. Wie er noch seine alten Sitten und Kühnheit erhalten hat,
so auch seine Tracht. Mit dem breitkrempigen Hute, der rothen Weste
und den weißen Hemdärmeln sieht man diese kräftigen Gebirgssöhne
aus ihren Flossen die Gebirgsbäche hinab zum Rheine fahren, um in
den Niederlanden für ihre riesigen hohen Tannen Brotkorn einzukaufen,
das ihnen ihr Boden auf den Bergeshöhen versagt. Ihre Holzschnitzereien,
Uhren, Strohhüte sind in ganz Deutschland bekannt.
Ihre Wohnungen mit den weit hervorspringenden Schindeldächern
liegen in den wildschönen Thälern zerstreut. Die Stuben zur ebenen
Erde sind schwarz getäfelt. Zu den Schlafkammern führen Gänge von
außen hinauf. Keine Hütte ist ohne plätschernden Brunnen und nicht
selten steht eine kleine Kapelle daneben mit einem Glöcklein zu den
Morgen- und Abendandachten. Wangemann.
63. Das Riesengebirge.
Die Kuppen des Riesengebirges sind ganz kahl, und die Gehänge
und niederen Joche tragen meistens Nadelholz. Ueber der Höhe von
3600 Fuß wächst nur noch eine kleine Strecke hinaus die Zwergkiefer,
das niedere Knieholz, aus welchem man in Schlesien allerlei nied-
liche Sachen verfertigt. Nur vereinzelt zeigt sich hier und da noch der
Vogelbeerbaum (Eberesche). Auf den höchsten Punkten finden sich nur
noch lange Flechten (Teuselsbart), isländisches Moos und wohlriechendes
Veilchenmoos. Dörfer giebt es im eigentlichen Riesengebirge nicht, aber
viele zerstreute Wohnungen, Bauden genannt, gleich den Sennhütten
auf den Alpen, nur daß man einige derselben auch im Winter bewohnt
(Winterbauden). Man zählt deren wohl an 3000, deren Bewohner
Rindvieh - und Ziegenzucht treiben und gegen 20,000 Kühe und 12,000
Ziegen halten. Diese Bauden sind von Holz, auf einer steinernen
Grundlage erbaut, welche eine Klafter hoch über den Boden hervorragt.
Der Eingang ist durch das überhängende Dach vor dem Wetter ge-
schützt; die Wohnstube, mit einem großen Kachelofen, einigen Tischen
und Bänken ausgestattet, ist geräumig, daneben eine Kammer, und f
gegenüber, durch Hausflur und Küche getrennt, befindet sich der Stall.
Das Dach ist mit Schindeln bedeckt und reicht bei den an Bergabhängen
stehenden Bauden an der Hinterseite bis auf den Boden hinab; unter
demjelben ist der Futtervorrath und zuweilen die Schlafstelle für einen
Theil der Familie oder der Gäste. Der Reisende, findet darin eine
gute Herberge.
Im Frühjahre ist das Viehauslreiben, im Sommer die Wande-
rung auf die Waldweide die Freude und Belustigung der Bewohner
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T91: [Haus Fenster Wand Stein Dach Zimmer Holz Feuer Raum Decke], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T49: [Berg Gebirge Höhe Fuß Ebene Seite Gipfel Gebirg Elbe Meer], T11: [Wein Getreide Boden Viehzucht Weizen Land Pferd Obst Kartoffel Ackerbau]]
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Extrahierte Personennamen: Holzhauer Wangemann
Extrahierte Ortsnamen: Rheine Niederlanden Deutschland Schlesien
106
dieser einsamen Berghütten und der Dörfer am Fuße des Gebirges.
Um Johannis wird gewöhnlich das Vieh aus den Ställen „zu Berge
getrieben." Beim Schalle langer, hölzerner Schalmeien, Hellahörner
genannt, bei fröhlichem Gesänge und dem Geläute der Glocken, deren
jedes Rind eine an einem verzierten Bügel am Halse trägt, treibt man
die blökenden Heerden zwischen Fichten und Tannen zu den Sommer-
bauden in-das Hochgebirge, welches nur 14 bis 15 Wochen lang von
diesen fröhlichen Tönen wiederhallt. Das ist die Zeit der Ernte: da
wird Butter und Käse viel gemacht für den eignen Bedarf und für
auswärtigen Absatz; vorzüglich lobt man die runden Kräuterkäse (Koppen-
läse), denen ein gewürziges Pulver von Majoran, Thymian, Bergsalbei,
Bergmünze, Steinklee und Scbarfgarbe beigemischt ist.
Ein stets schneereicher Winter, welcher vom Oktober bis in den
Mai dauert, verkürzt die Frühlings- und Herbstzeit auf wenige Wochen,
wie in den Gegenden des hohen Nordens. Der Herbst selbst beginnt
mit Frösten, welche auf den Gebirgsrücken meistens von Schneegestöber
begleitet sind, während derselbe im Flachlande noch von feuchter, reg-
nerischer Beschaffenheit ist. Aus den höchsten Gebirgsrücken schmilzt dann
gewöhnlich der Schnee nicht mehr, und nur auf den niederen Abhängen
und in den Thälern herrscht vor dem gänzlichen Einwintern noch einige
Wochen der Wechsel von Frost und Thauwetter. Die angehäufte Schnee-
masse, gewöhnlich die Höhe einer Klafter übersteigend, setzt dann die
Baudner oft Wochen, ja Monate lang aus aller Verbindung mit den
Thalbewohnern und macht den Verkehr schwierig, selbst lebensgefährlich.
Oft müssen die Bewohner den Ein- und Ausgang durch die Dachluken
oder den Schornstein suchen, die Richtung der gewöhnlichen Wege durch
aufgesteckte lange Stangen bezeichnen und, falls ein Sterbefall in der
Familie eintritt, die Leichen so lange im Schnee aufbewahren, bis das
Thauwetter es ihnen erlaubt, sie hinab aus den Kirchhof ihres Ortes
zu bringen. Diese großen Schneemassen verursachen aber auch hier, wie
in allen Hochgebirgen, an den steilen Lehnen häufige Schneestürze, die
den Lawinen der Alpen ähnlich sind; doch werden sie nicht so verderb-
lich, wie diese Im Winter sind Schlittenfahrten, auf kleinen Hand-
schlitten die Bergabhänge hinab, ein gewöhnliches, dem Anscheine nach
halsbrechendes Vergnügen, dessen Gefahren aber die Kühnheit und Ge-
wandtheit der Lenker leicht beseitigt.
Während im Winter der Schnee die Baudner oft entsetzlich be-
lästigt, erfahren sie im Sommer den häufigsten Wechsel von Nebel, Regen
und heiterer Witterung mit Winden und Stürmen. Plötzlich ziehen
Wolken zusammen und vertheilen sich wieder, einen lichten, bald zer-
rissenen, bald dichten und zusammenhängenden Schleier um die Gipfel
der Berge ziehend. Schnell entstehen Windstöße von Norden und Sü-
den und umgekehrt; unerwartet ergießen sich die heftigsten Regengüsse,
und im schnellsten Wechsel erheitert und trübt sich der Himmel. Furcht-
bare Gewitter, welche auch im Hochgebirge häufig sind, entladen sich
mebr an den Hängen und Thalrändern; doch treffen die Blitze nicht
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TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde]]
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selten die höchsten Gipfel der Berge, wie schon oft die Schneekoppe
selbst, namentlich am 18. October 1828 in einer Stunde fünfmal.
Diese schnell wechselnden Erscheinungen in den höhern Regionen
find, nach der Volkssage, die Launen des gewaltigen Berggeistes Rü-
bezahl, welcher seit dem dreißigjährigen Kriege diese schauerlich große
Gebirgsgegend beherrscht. Er ist indessen den Schlesiern mehr als den
Böhmen bekannt. In ihm laufen alle Mährchen und Sagen des Riesen-
gebirges zusammen: bald erscheint er als Mensch riesenhaft und rußig,
bald auch in verschiedenen Thiergestaltcn, die Bewohner der Gegend ent-
weder beglückend oder neckend. Im Ganzen ist jedoch der Charakter
der Sagen vom Rübezahl mehr launenhaft und komisch, selten tragisch.
Seine Launen sind mannichfaltig und abwechselnd, wie das Wetter im
Gebirge: er straft diejenigen oft, die ihn durch Rufen seines Namens
necken und reizen; betrügerischen Roßhändlern verkauft er ein stattliches
Pferd, welches sich nachher in einen Strohwisch verwandelt; Abenteuern
wird ihr Pferd plötzlich und ohne daß sie selbst es merken, zum Stocke,
auf dem sie hernach im lächerlichsten Aufzuge durch das Dorf reiten;
Armen dagegen füllt er den Korb mit trockenem Laube, was sie keuchend
fortschleppen und nachher in Gold verwandelt sehen; Kinder und recht-
schaffene Brautleute aber beschenkt er öfters. Er läßt sich statt des mit
Unrecht Verurtheilten hängen, zappelt Stunden lang am Galgen, und
wenn man endlich nachsieht, findet man nur einen Strohwisch. Im
höchsten Gebirge duldet er keine Jagd; nicht einmal Jagdhunde darf man
dahin mitnehmen. — Von den hundert verschiedenen Ableitungen seines
Namens ist die bekannteste: er habe sich' von einer schönen Prinzessin
foppen lassen, die ibm, während er auf ihren Befehl die Rüben seines
Gartens zählte, entflohen sei. Sem ml er.
66. Aus dem schlesischen Gebirge.
„Nun werden grün die Brombeerhecken;
Hier schon ein Veilchen — welch' ein Fest!
Die Amsel sucht sich dürre Stecken,
Und auch der Buchfink baut sein Nest.
Der Schnee ist überall gewichen.
Die Koppe nur sieht weiß ins Thal;
Ich habe mich von Haus geschlichen,
Hier ist der Ort — ich wag's einmal: Rübezahl!
Hört' er's? ich seh' ihm dreist entgegen!
Er ist nicht bös. Aus diesen Block
Will ich mein Leinwandpäckchen legen!
Es ist ein richt'ges, volles Schock!
Und fein! Ja, dafür kann ich stehen! •
Kein bess'res wird gewebt im Thal —
Er läßt sich immer noch nicht sehen!
Drum frischen Muthes noch einmal: Rübezahl!
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